TAZ Bremen 10.08.2002

taz Bremen Nr. 6823 vom 10.8.2002, Seite 23, Hannes Krug


Randgruppe Travestie-Besucher

Das Gastspiel "Cristina - die Zarah-Leander-Sensation aus Amsterdam" lockt mit ihrem neuen Programm. Das Ehepaar Merkel genießt den Abend im Schnoor. Ihr Kommentar:"Wunderbar, ganz wunderbar." Und wirklich, Cristina singt ganz wie die große Diva in ihren goldenen Jahren Nix mit schummrig, klebrig, billig.
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Höhepunkt des Abends ist der Auftritt von Cristina. Niemand singt Zarah Leander kraftvoller und erhabener als Cristina aus Amsterdam. Doch bis zu ihrem Auftritt prasselt das bewährte Madame-Lothar-Programm auf das Publikum hernieder. Warten oder amüsieren? Amüsieren. Also her mit den Sofasitzern. Gleich nach den ersten warum-haben-Männer-Hoden-Scherzen, kommen die Merkels mit einer Hand voll alternder Sesselkissen ins Gespräch. In dieser Altersklasse ist Stimmung garantiert. Während das jüngere Publikum noch rätselt, ob Madame Matthias überhaupt noch einen Schwanz hat oder ob er nur geschickt noch oben gebunden ist, können sich die älteren Herrschaften richtig amüsieren.
"Wunderbar, ganz wunderbar", trällern die Gattinnen. Ihren Herren laufen Tränen über das Gesicht und fließen gemütlich in den Rinnen der Lachfalten ab. "Klar, Hamburg ist natürlich noch was anderes. Aber ist es nicht toll, dass es so etwas in Bremen gibt?" Klar. Das ist toll. Alle lachen jetzt, ob flacher Witz oder nicht. "Das ist wie bei Pro Sieben", sagt eine der Gattinnen. Und dann ist sie da: Cristina. Millionen blauer Pailletten knallen von der Bühne. Wow. Was für ein Kleid.
Als "Zarah-Leander-Sensation aus Amsterdam" wird sie angekündigt, wenn sie nicht gerade auf Tour ist, lebt und singt sie in Hamburg. Leidenschaftlich ist sie, ganz und gar. Hauchherb würde ihre Stimme nur unzureichend beschreiben. Hauchherb, mit einem Klangvolumen fürstlicher Parkanlagen. Seltenes von Zarah Leander hat sie mitgebracht, und sie weiß so einige Geschichten über die Femme Fatale aus Schweden und den einst teuersten Ufa-Star Deutschlands. Niemals würde Cristina die große Diva parodieren. Sie interpretiert und, ja, imitiert sie. Form und Höhe ihrer Frisur gleichen der, die Zarah Leander während ihrer Abschiedstournee 1972 trug. Die eigenartige, dunkle und auch mal schrille Stimme, klingt wie das Orginal. Fantastisch. Das gesamte, jetzt gar nicht mehr klein wirkende, Theater ist hin und weg.
Zarah Leander (1902-1988), eigentlich hieß sie Stina, wurde schon zu Lebzeiten kopiert und parodiert. In einem ihrer Filme, "Der falsche Millionär", von 1931 gibt es eine Einstellung, in der Hotelpagen ihre Stimme imitieren. Schlechte Imitate tingeln zu Hauf durch Deutschlands Cabarets. Cristina ist da eine Ausnahme. Vielleicht weil sie die Diva in Amsterdam kennengelernt hat. Irgendwie muss dabei der Leander-Geist auf sie übergesprungen sein. [...]